Nach einer solchen Besichtigungstour darf man sich ruhig wieder einem Odenwälder Kartoffelgericht hingeben. Wie wäre es zur Abwechslung mit "Täubchenbrust im Kartoffelmantel gebacken mit Pfifferlingen" oder "Wirsingkrautwickel mit Kartoffeln und Lammfilet"? Mit solchen Menüs beweisen die Köche des Odenwalds, dass Kartoffelgerichte nicht nur deftige Hausmannskost bedeuten müssen, sondern auch feinsinnige Gourmets begeistern können.

Wie schwierig es einst gewesen sein muss, die Odenwälder überhaupt zur Kartoffel zu bekehren, lässt sich heute nur noch erahnen. Die wahre Heimat der Kartoffel ist natürlich nicht Südhessen, sondern Südamerika. Dort wurde sie allerdings nur als Zierpflanze kultiviert. Columbus soll sie nach Europa gebracht haben, doch es dauerte weitere 200 Jahre, bis sie erstmals als Nahrungsmittel für Mensch und Tier angebaut wurde.

Man schrieb das Jahr 1900, als der Odenwälder Landwirt Georg Friedrich Böhm mit seinen neuartigen Versuchen auf dem Gebiet der Kartoffel- zucht von sich reden machte. Trotz erfolgreicher Erprobung verschiedener Sorten nach Geschmack, Ertrag, Festigkeit, Stärkegehalt und Wuchs, stand der "unbelehrbare Versuchsbauer" fünf Jahre später kurz vor dem Ruin, weil keiner seine Kartoffeln kaufen wollte. Erst als sich hessische Landwirt- schaftslehrer für die potenten Saatkartoffeln zu interessieren begannen, kam der Umschwung. Böhms Züchtungen wurden auf deutschen Versuchsfeldern erprobt und begeisterten sofort die Fachleute. Unter 20 Sorten, so ist es im "Bericht der Deutschen Kartoffel-Kultur-Station" von 1909 verbürgt, erbrachte die Knolle mit dem verheissungsvollen Namen "Böhms Erfolg" mit 305 Doppelzentnern pro Hektar den grössten Ertrag. Der Odenwälder Landwirt eroberte sich damit die offizielle Auszeichnung eines "Knollenproduzenten allerersten Ranges". Es war der Beginn einer ungeahnten Erfolgsgeschichte. Heute verfügt die Firma Böhm über neun Betriebe in Deutschland, ihre Züchtungen gehen fast in die gesamte Welt.

Dass eine frische Kartoffel nicht nur ausgezeichnet schmeckt, sondern auch eine Reihe wichtiger Vitamine und Mineralstoffe enthält, hat sich inzwischen herumgesprochen. Gerne weisen die Initiatoren der Odenwälder Kartoffelwochen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die unscheinbare Knolle -die so lieblich klingende Sortennamen hat wie Sieglinde, Ackersegen, Aula oder Granola - ein Fitmacher ist. Kartoffeln machen also gar nicht dick? Beileibe nicht: 250 Gramm Kartoffeln enthalten gerade mal 170 Kilokalorien, ein Filetsteak mit diesem Gewicht fast das Doppelte.

Und was ist die Moral der Geschichte? Weniger Fleisch essen - dafür mehr KartoffeIn. Denn wie heisst es im eingangs erwähnten Gedicht weiter: "Man kann sie gebrauchen auf mancherlei Art/ geröstet, gebraten, zu Supp' und Salat/ Und hat man kein Salz und hat man kein Schmalz/ So rutschen sie abgequellt auch durch den Hals."