Es ist Januar 1660, und auch in den Tuilerien ist es alles andere als warm. Paris ernährt sich von zerkochten Hülsenfrüchten, zerkleinertem Wintergemüse und haschiertem Pökelfleisch. Auch der 21jaehrige Ludwig Xiv. Bekommt nicht viel anderes zu essen, denn erstens wächst nördlich der Alpen im Januar nichts, was frisch verzehrbar wäre. Und zweitens haben die meisten Leute um ihn herum so schlechte Zähne, dass sie nur Breiiges zu sich nehmen können.
Schon in wenigen Jahren werden die Ärzte dem Sonnenkönig in einer Sitzung sämtliche Zähne und versehentlich gleich noch einen Teil des Gaumenknochens herausreissen - der damals geltenden Weisheit folgend, dass alles Übel von den Zähnen kömmt, wovor der König durch prophylaktische Extraktion zu schützen sei.
Frauenheld Ludwig wird den Rest seines Lebens nur Dickfluessiges zu sich nehmen und aus dem Mund stinken, weil sich Speisereste in der Nasenhöhle festsetzen und verfaulen. Paris entwickelt sich zur Stadt der Parfüms.
Diese Zahngeschichte muss man kennen, um die Begeisterung zu verstehen, die bald Paris und tout le monde erfassen wird. Es wird nämlich ein Sieur Audiger vorgelassen, zurück aus Genua. Hat er, wie ihm geheissen, den Italienern die Geheimnisse der Likörherstellung entlocken können? Ja, aber wichtiger ist der Präsentkorb, den Audiger dem König überreicht, gefüllt mit grünen, süssen, zarten Erbsen - frisch aus Italien.
König und Hofstaat kosten, und "sämtliche erklärten wie aus einem Mund, dass es keine bessere und wirklichere Neuheit geben könne und nichts dergleichen, zur der Jahreszeit, je in Frankreich gesehen worden sei".
Natürlich war die Erbse längst bekannt, sie gilt als die älteste kultivierte Hülsenfrucht, aber es gab sie eben nur als harte, ausgereifte Trockenerbse, die lange (mit Speck) gekocht und dann zu Brei zerstampft wurde - der Zähne wegen.
Dass es auch zarte, junge, süsse und vor allem beissbare Erbsen geben könnte, wie damals zuerst in Italien gezüchtet, war ungehört. Noch 1696 wird Madame de Maintenon dem Kardinal von Noailles schreiben: "Die Erbsenfrage hält an. Die Vorfreude, sie zu essen, der Genuss, sie gegessen zu haben, und das Vergnügen, sie bald wieder zu essen, sind die drei Themen, die unsere Prinzen in den vergangenen vier Tagen diskutiert haben. Erbsen sind eine Mode, nein, eine Leidenschaft geworden." Wahrscheinlich haben die Hugenotten die petits pois, die kleinen süssen Markerbsen, mit nach Deutschland gebracht, wo bis dahin die Trockenerbse, neben Bohnen und Linsen, der wichtigste Stärke- und Eiweisslieferant war: "In Teutschland ist kaum ein bräuchlicher Speiss als Erwessen, nützlich reichen und armen Leut.
Denn sie settigen, speisen und nehren wol", schreibt der Pfarrer und Botaniker Hieronymus Bock im 16. Jahrhundert. Zwar blähen sie "und machen dumpfig um die Brust", doch es gab Abhilfe: "Die Erbsen mit den Schalen machen dem Darme Qualen; wenn man sie schälen tut, so sind sie ziemlich gut", so eine Mönchsweisheit.
Wie wichtig Erbsen damals waren, erscheint uns im Rücklick verwunderlich. Aber vergessen wir nicht, dass das alles in der Vor- Kartoffel-Aera stattfand, als Hülsenfrüchte, Getreidebrei und Kohl die Hauptnahrungsmittel der Leute waren. Pease pudding (schnittfestes Erbspüree) stand in England, Tarwesoep (Erbsensuppe) in Holland und Erbsenbrei in Deutschland hoch im Kurs. In Niedersachsen wurde Erbsenbrei mit Sauerkraut gereicht, "Lehm mit Stroh" genannt.
So werden wir vielleicht doch zu den frischen Erbsen greifen, die jetzt und noch bis in den August auf dem Markt zu finden sind, auch wenn ihrem Genuss geduldiges Enthuelsen, Palen genannt, vorausgehen muss.
Erbsen enthalten bis zu 23 Prozent Eiweiss und (auf 100 g) 0, 35 mg Vitamin B1, 0, 14 mg Vitamin B2, 27 mg Vitamin C und 1, 9 mg Eisen.
Aus einem Kilo Erbsenschoten löst man 300 g Erbsen, was bei gemächlichem Tempo eine halbe Stunde dauert und für zwei Esser reicht. Leider schwindet ihr zuckrig süsser Geschmack so schnell wie die Vitamine. Weshalb die süssen Markerbsen heute auf grossen Feldern gleich neben der Tiefkühlfabrik angebaut werden.
Kann man also bessere Erbsen kaufen als tiefgekühlte, wenn sie so gut schmecken wie frisch gepalte und obendrein meist gesünder sind? Kaum, und deshalb können alle folgenden Gerichte auch mit Tk-Erbsen zubereitet werden.
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